Im Kinderschutz-Zentrum Kiel finden Jungen und Mädchen nach erlittener Gewalt Hilfe – statt zu sprechen, zeigen sie das Erlebte oft

Kiel Immer mehr Kinder erleben Gewalt. Das Statistische Bundesamt registrierte 1.941 Fälle von Kindeswohlgefährdung im Jahr 2023 – zehn Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor (2022: 1.764 Fälle). Einige der Kinder finden Hilfe, zum Beispiel im Kinderschutz-Zentrum. Es ist eines von 19 Zentren für das Kinderschutzbund-Bundesverband. In Kiel werden traumatisierte Kinder psychologisch betreut und bei der Aufarbeitung unterstützt – in einem bunten Sandkasten.

Anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung macht sich eine Ausnahme unter ihnen einen Blick hinter die Kulissen: Ein Kind wird eines Tages beim Spielen mit einem Engel und einer blutgetränkten Puppe auffällig. Und schon ahnen die Fachkräfte, was dahinter stecken könnte.

Sandkasten als Spiegel verborgener Gewalt

Der Raum fällt besonders auf: Puppen, Malutensilien und Spielsachen liegen bereit. Doch statt Schaufeln und Förmchen greifen Kinder hier zu anderen Symbolen. „Wir achten sehr genau darauf, was gewählt wird“, sagt Lädja Baumann, Leiterin des Zentrums. Denn in vielen Fällen drücken sich Kinder über ihre Spielwahl aus – etwa über ein übergroßes Tier oder eine verstörende Konstellation.

„Kinder wissen oft nicht, dass ihnen etwas passiert ist. Sie empfinden es zwar, aber sie drücken es oft nicht aus“, so Baumann. Körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt – das Kind zeigt sich in seinem Spiel. Oft erst nach vielen Sitzungen. Dann kann sich eine Wahrheit abzeichnen. Im Sand sind es oft kleine Symbole, Figuren oder Stellvertreter, die sich im Spiel wiederholen und die Fachkräfte zum Handeln bewegen.

Oft sitzt der Teufel der Täter

Im Regal hinter dem Sandkasten stehen viele verschiedene Holzfiguren. Der kleine Teufel wird oft als Täterfigur gewählt, der Engel steht für das Gute. „Aber viele Kinder greifen auch zu einer Figur ohne Gesicht.“ Die Kinder kommen aus verschiedensten Gründen ins Zentrum: Mädchen werden häufiger von Jugendamt geschickt, Jungen häufiger von Eltern. Viele Eltern bemerken gar nicht, wie schlimm es ihren Kindern wirklich geht, bis sie von der Einrichtung Rückmeldung bekommen. Viele Kinder sind stark belastet und still – hier befindet sich ein wichtiges Sprachventil.

Wenn das Kind nicht aufhört zu schreien

„Viele googeln nach Hilfe“, berichtet Baumann. „Häufig melden sich Mütter, weil sie nicht mehr weiter wissen. Das Kind schreit nur noch, hört nicht mehr auf. Die Eltern sind am Ende.“ In dem Fall ist es wichtig, schnell zu handeln. Manchmal stehen Familien auf Wartelisten – das Team schaut dann, wo der Bedarf am größten ist. Frühzeitig erkannt, können viele Kinder mit gezielter Unterstützung stabilisiert werden.

Frühe Hilfe wichtig für die Gehirnentwicklung

Besonders in den ersten Lebensjahren können sich negative Erfahrungen tief einprägen und die Entwicklung massiv beeinflussen. Deshalb ist es so wichtig, möglichst früh zu helfen. „Deshalb wünschen wir uns eine jährliche Steigerung unserer Mittel“, so Baumann. Der Bedarf wächst weiter – auch, weil sich die Fälle häufen und die Belastung steigt.